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„Kein Reiter sitzt perfekt!“

Elaine Butler arbeitet nach Mary Wanless und ist spezialisiert auf den Reitersitz. Beim Feine  Hilfen-Symposium am 10. und 11. September zum Thema “Der Sitz des Reiters” ist sie einer der vier Dozenten.
Wir haben auch mit ihr ein Kurzinterview mit ihr zum Thema Sitz geführt. Teil 1 des umfangreicheren Interviews veröffentlichen wir jetzt, Teil 2 nächste Woche.

Butler

Elaine Butler im Unterricht mit einer Schülerin. (Foto: Fotokinga)

 

Feine Hilfen: Kann man mit einem nicht perfekten Sitz pferdegerecht reiten?
Elaine Butler: Keiner sitzt perfekt! Wenn man von pferdegerecht redet und Perfektion erwartet, dürften wir im Prinzip alle keine Pferde reiten. Wir sind von der natürlichen Schiefe geprägt, ein Bein ist länger als das andere, eine Körperhälfte ist immer schwächer bemuskelt als die andere und wir haben alle mit einer leichten Verdrehung des Rumpfs zu kämpfen, die es uns erschwert, zentriert und balanciert zu sitzen. Durch bestimmte, immer wieder vorkommende Bewegungen im Alltag, oder bei der Arbeit, ironischerweise ganz besonders bei Pferdeleuten (Ausmisten, Fegen etc.) trainieren wir uns eine noch stärkere Asymmetrie und schlechtere Körperhaltung an.  Das arme Pferd muss in seinem Körper ständig kompensieren, wenn wir es zu stark links oder rechts belasten.
Auch haben wir Probleme, in der Sattelmitte zu sitzen und nicht Vor- oder Hinterhand zu überlasten. Der Eine neigt zum Vornüberfallen, der Andere fällt nach hinten. Und wenn man die Beine nicht unter dem Schwerpunkt hält, gibt es eine vermehrte unnötige Belastung des Pferderückens…
Wenn der Reiter nicht allzu schwerwiegende Balance- und Koordinationsprobleme hat, wird ein Pferd, was athletisch und beschwerdefrei läuft, nicht so viel Notiz davon nehmen. Ein Pferd mit viel Schwung, guten Grundgangarten und einem willigen Geist wird mitmachen, auch wenn ein Reiter eher schlecht im Sattel sitzt.

Feine Hilfen: Ein williges Pferd „verzeiht“ also mehr Fehler?
Butler: Manche Pferde sind extrem gutmütig, andere rasten bei der kleinsten Störung aus. Hat man ein körperliches Gebrechen, was trotz aller Bemühung nicht in Griff zu bekommen ist, sollte man sich kein “Sensibelchen” aussuchen. Oft ist es so, dass im Vollbluttyp stehende Pferde und Stuten Sitzfehleren weniger tolerieren als Warmblüter und Wallache, aber hier gibt es Ausnahmen!
Paralympische Reiter mit zum Teil enormen Behinderungen suchen lange und bekommen passende Pferde zur Verfügung gestellt, trotzdem dauert es, bis die optimale Kombination gefunden wird und bis Pferd und Reiter harmonieren. Im Allgemeinen können Pferde mit quadratischem Körperbau, mit breitem Rücken und breiter Brust, wie etwa iberische Pferde, Quarter, Araber, Haflinger usw. mit einem Reiter mit starken Sitzfehlern besser auskommen als rechteckige Pferde mit langem schwachen Rücken, wie z.B. Friesen. Hat man nur eine beschränkte Hüftbeweglichkeit, sollte man sich ein Pferd mit schmalerem  Brustkorb kaufen. Hat man einen schwachen Muskeltonus, sollte man sich ein Pferd  mit nicht zu schwungvollen Gängen aussuchen oder man muss ständig am Muskeltonus und der eigenen Fitness arbeiten. Würde jeder sein Pferd mit Verstand kaufen statt mit Herz könnte man sich einige Mühe ersparen, aber wer macht das schon…?
Sicher sind Pferde in der Lage, mit manchen Sitzfehlern bis zu einem bestimmten Grad zurechtzukommen. Sie lernen zu interpretieren. Durch Wiederholung bestimmter Bahnfiguren und –lektionen wird das Pferd ein bestimmes Signal mit einem Ergebnis in Zusammenhang zu bringen. Ob das Signal im klassischen Sinn “falsch”, undeutlich oder ineffektiv wird – das Pferd weiß dennoch, was der Reiter von ihm will.

Feine Hilfen: Also wird um den Sitz zu viel „Bohei“ gemacht?
Butler: Keineswegs. Wenn es irgendwie möglich ist, sollte der Reiter sein Bestes tun, an der Symmetrie und Feinmotorik zu arbeiten, damit er nach und nach geschickter wird. Pferde sind durchaus in der Lage zu unterscheiden, ob sein Reiter bewusst das Wohl des Pferdes im Sinn hat, aber irgendein Sitzproblem nicht ausschalten kann oder ober ihm mit bewusstem nicht pferdegerechtem Verhalten oder sogar Gewalt Schmerzen zufügt. Ein Anfänger, der dem Pony ungeschickt in den Rücken fällt und gelegentlich dabei einen Ruck ins Maul gibt, wird ganz anders aufgenommen und geduldet als ein Reiter, der sein Pferd mit diesen Taten bewusst strafen möchte.
Es ist aber immer die Frage, für wie lange es gut geht, bis der Pferderücken allmählich unter Sitzfehlern leidet, oder die überbelasteten Gliedmaßen schlapp machen.
Feine Hilfen: Ist das Idealbild des Sitzes von der Reitweise abhängig? Oder würde sich beispielsweise ein Westernpferd eigentlich wohler fühlen, wenn es im klassischen Dressursitz geritten würde?
Butler: Die physikalischen Kräfte in unserem Universum sind für alle Reiter gleich! Auch ein Spring-, Vielseitigkeits-, Western- oder Distanzreiter muss sich den Regeln der Schwer- und Fliehkraft und den Zug- oder Hebelgesetzen unterordnen. Bestimmte Pferdetypen machen es dem Reiter aber leichter, damit umzugehen. Ein Quarterhorse zum Beispiel ist ein stabiler Pferdetyp mit flachen Gangarten. Somit sind die Kräfte, die sein Reiter aushalten und umsetzen muss, weitaus geringer als die, mit denen der Dressurreiter auf einem schlanken hyperflexiblen Kracher mit viel Kadenz und enormem Aufwärtsschwung im Rücken konfrontiert wird. Es gibt durchaus gute Beispiele von geschmeidig sitzenden Reitern im Reiningsport. Biomechanisch gut und stilistisch schön sind  z.B. Stacy Westfall. Laura Sumrall oder Andrea Fappani. Sie haben eine klassisch korrekte Schulter-Hüfte-Absatzlinie mit aufrechter Körpermitte und sehr gute Körperbeherrschung.
Ich muss sagen, generell gefällt mir der Reitstil jedes Vielseitigkeitsreiters in der Dressurprüfung besser als der der meisten “puren”  Dressurreiter, mit wenigen Ausnahmen. Bei den Spring- und Geländereitern gilt die gleiche Devise; es muss genau wie in der Dressur eine Lotlinie durch den Körper gehen, sodass sie jederzeit auf den Füssen landen würden, wenn man imaginär das Pferd unter dem Reiter wegzaubert. Diese Linie ist aber beim Springen je nach Hindernishöhe, Grundgefälle und Springphase unterschiedlich. Im leichten Sitz im Gelände zum Beispiel laüft diese Linie vom Schultergelenk, über Kniescheibe zur Fusspitze, im Jockeysitz eher Schulterblatt, Kniemitte, Steigbügel. Ab einer gewissen Hindernishöhe wird man es nicht vermeiden können, den Unterschenkel in der Schwebephase zu weit nach hinten zu verlieren, aber hoffentlich ist der Fuß bei der Landephase wieder unter der Schulterpartie, damit eine sichere und knieschonende Landung gelingt.
Bei Gangpferdereitern, besonders in der Islandszene hoffe ich, eine Wende in der Philosophie zu erleben. Hier sieht man leider immer noch zu viele Reiter, die zu weit hinter dem Schwerpunkt des Pferdes sitzen, im Stuhlsitz und mit starker negativer Hebelwirkung am Pferdehals. Es ist anders als die Hebelwirkung, die man bei der sogenannten Rollkur kennt, aber ebenso schädlich für den Pferdekörper. Das liegt meiner Meinung nach an der Tradition des Töltwettbewerbs, wo hohe Vorderbeinaktion belohnt wird. Aber auch daran, dass zu große Reiter auf diesen Kleinpferden mit zu kleinen Sätteln reiten.
Also es gibt sozusagen ZUSÄTZLICHE Anforderungen oder Schwierigkeiten, die Reiter der verschiedenen Disziplinen bewältigen müssen, jedoch der Grundsatz bleibt;  der Reiter muss möglichst zentriert in den beiden Dimensionen sitzen, in der seitlichen, wie in der Längsachse gesehen. Und das in der Bewegung in allen Gangarten, sowie auf gerader Linie wie auf der gebogenen Linie. Aber einfacher gesagt, als getan!

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Category: Aktuelle Themen

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