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Leseprobe: Knackpunkt Rücken

von Michaela Wieland
(Leseprobe aus Ausgabe 10)

Foto: Cornelia Brenner

Foto: Cornelia Brenner

Die Punkte der Skala der Ausbildung (Takt, Anlehnung, Losgelassenheit, Schwung, Geraderichtung, Versammlung) bedingen sich gegenseitig. Schwung kann sich nur durch eine geradegerichtete, freie Wirbelsäule entfalten. Der Pferderücken schwingt, wenn die Muskulatur des Pferdes losgelassen ist. Verspannungen und Blockaden stoppen dagegen den Durchschwung der Bewegung des Pferdes von hinten nach vorn.

Der Rücken des Pferdes ist der Ursprung seiner Bewegungsqualität, seiner Mobilität und seines Gleichgewichts. Die freie Beweglichkeit aller Wirbel- und Rippengelenke sowie die Losgelassenheit der Rückenmuskeln machen die Bewegungsqualität des Pferderückens aus.
Korrektes Training mit passender Ausrüstung geben dem Pferd die Möglichkeit, seinen Reiter ohne große Anstrengung zu tragen und auf feinste Verlagerung seines Gewichts zu reagieren. Die Kommunikation und das Vertrauensverhältnis zwischen Reiter und Pferd sind weitere Grundlage für alle fein abgestimmten Bewegungsabläufe. Nur dann kann der Pferderücken (als Brückenkonstruktion) die Aufgabe des Schwingens erfüllen.

Der Rücken – eine Brückenkonstruktion

Wir wünschen uns den Rücken des Pferdes also schwingend und locker. Dafür sind eine weiche, dehnfähige Rückenmuskulatur sowie die freie Beweglichkeit der Wirbelsäule und des Kreuzdarmbeingelenks nötig. Beides steht in Abhängigkeit zur Aktivität der geraden und schrägen Bauchmuskeln. Sie verbinden die Brust- und Beckenpartie des Pferdes und dienen als untere Verspannung der Wirbelsäule zwischen Brustbein und Becken. Durch die funktionelle Einheit der Brust- und Lendenwirbelsäule, dem Becken, dem Brustbein, den Rippen und insbesondere der Bauchmuskulatur ist der Brustkorb des Pferdes mit einer freitragenden Brückenkonstruktion zu vergleichen. Die Konstruktion steht auf vier Pfeilern (den Gliedmaßen des Pferdes gestützt). Frühere Skizzen zum Brückenbau hatten sogar teilweise die Anatomie des Pferdes zum Vorbild.
Die Bauchmuskeln sind die Gegenspieler der Rückenmuskulatur. Werden sie trainiert, wölbt sich der Pferderücken auf: Die Wirbelgelenke werden entlastet, die Dornfortsätze entfernen sich voneinander und die Rückenmuskulatur kann durch die Unterstützung der Bauchmuskulatur entspannt arbeiten.
Ist diese untere Verspannung jedoch schlaff, hängt die Wirbelbrücke durch, die Dornfortsätze und Wirbelgelenke berühren sich. Der von hinten entwickelte Schwung geht nicht vor bis ans Gebiss (Anlehnung), er bleibt in der Wirbelsäule stecken.

Der Pferderücken gleicht einer Brückenkonstruktion auf vier Pfeilern. (Abbildung: Deutsches Institut für Pferdeosteopathie, DIPO)

Der Pferderücken gleicht einer Brückenkonstruktion auf vier Pfeilern. (Abbildung: Deutsches Institut für Pferdeosteopathie, DIPO)

Losgelassenheit als Voraussetzung

Für ein gut gerittenes Pferd, das zudem mit einem passenden Sattel ausgestattet ist, ist der treibende Reiterschenkel nicht nur ein Signal zum Antreten, sondern auch ein Reiz für seine Bauchmuskulatur, sich anzuspannen. Damit wird das Aufwölben der Wirbelsäule einschließlich Widerrist unterstützt. Die Hinterhand bekommt Platz zum Untertreten, das Pferd kommt „vor den Reiter“. Bei Kraftentfaltung der losgelassenen Muskulatur kann der Reiter den positiven Spannungszustand seines Pferdes unter sich fühlen.
Voraussetzung hierfür ist die Losgelassenheit des Reiters. Ein gut koordinierter Reiter, der geschmeidig sitzen kann, kann auch Losgelassenheit und Balance mit seinem Pferd erarbeiten.
Physische wie psychische Anspannung des Reiters führen zu Taktunreinheiten, wie Anspannungen des Pferdes. Die Veranlagung oder Bereitschaft zur Losgelassenheit ist von Pferd zu Pferd unterschiedlich. Ein losgelassener Bewegungsablauf ist rasse- und exterieurbedingt. Araber und Friesen lassen sich nicht so leicht über den Rücken reiten wie die meisten Warmblüter. Ebenso bringt jedes Pferd ein anderes Nervenkostüm und eine andere Arbeitsmotivation mit.
Allerdings werden Pferde auch aufgrund von Schmerzen daran gehindert, sich grundsätzlich oder auch nur unter dem Reiter zu entspannen. Pferde, die innerlich nicht loslassen können, zeigen dies unter anderem durch Zähneknirschen, Schweifschlagen, übermäßiges Erschrecken und Taktfehler. Eine regelmäßige Kontrolle des Gesundheitszustands sowie der Ausrüstung muss für jeden Reiter selbstverständlich sein.

Der Weg zum Schwung

Schwungentwicklung wird nicht durch übereiltes Vorwärtsreiten erreicht, in diesem Fall hält das Pferd sich eher fest. Nur ein Gleichmaß der Bewegungen (Takt) führt zu losgelassener Muskulatur und einem runden Bewegungsbild. Unkoordinierte, ruckartige Bewegungen hingegen führen zu Muskelverspannungen. Ein losgelassenes Pferd bewegt sich harmonisch, was auch für ein ungeübtes Auge zu erkennen ist. Seine Bewegungen sind koordiniert und fließend, die Relation der Bewegung zwischen Becken- und Schultergliedmaße und die Bewegungsweiterleitung über den Rücken ist gegeben.
Ein Körper, der sich losgelassen bewegt, wird gut durchblutet. Nur gut durchblutete Muskulatur kann sich dem Training entsprechend aufbauen und Kraft entfalten. Auch ist das Pferd, dessen Muskulatur gut durchblutet und locker ist, besser in der Lage, seine Bewegungen zu koordinieren. Somit bedingen sich Koordination (als definiertes Trainingsziel) und Losgelassenheit. Takt und Losgelassenheit sind wiederum Voraussetzungen für die Schwungentwicklung.
Die Ansätze der Bauchmuskeln am Becken führen dieses in eine gebeugte Position, die Kruppe kann sich absenken, das Pferd bekommt die Möglichkeit, locker unter den Schwerpunkt zu fußen und mit den Hanken Last aufzunehmen. Der Schwung soll aus der Hanke über das Kreuzdarmbeingelenk, über die Wirbelsäule bis zum Pferdemaul weitergeleitet werden. Dieser Fluss ist nur bei gerade gerichteten Pferden möglich.

Geraderichtung

Mit der natürlichen Schiefe des Pferdes bezeichnet man den Umstand, dass jedes Pferd von Natur aus zu einer Seite etwas mehr gebogen ist als zur anderen. Kein Lebewesen ist in sich völlig symmetrisch, was unter anderem an der Anordnung der Organe in Brustkorb und Becken liegt, aber auch an der Anlage der rechten und linken Gehirnhälften. Die Seite, zu der das Pferd mehr gebogen ist, wird als seine hohle Seite bezeichnet. Hier ist die Muskulatur strukturell verkürzt, was dazu führt, dass sich die Gegenseite schlechter in Längsbiegung bringen lässt. Dies liegt an der mangelnden Dehnungsbereitschaft der Muskulatur der hohlen Seite. Dieses Ungleichgewicht führt zu unterschiedlichen koordinativen Bewegungsabläufen auf rechter und linker Hand. Ist ein Pferd rechts hohl, tendiert es dazu, auf der rechten Hand über die linke Schulter auszuweichen, mit der rechten Beckengliedmaße weniger Last aufzunehmen und mit der rechten Schultergliedmaße vermehrt zu stützen.
Eine unterschiedliche Schubentwicklung der rechten und linken Seite ist der Fall. Die Wirbelsäule des Pferdes knickt in ihrem Verlauf, der Schwung bleibt an dieser Stelle stecken.
Die Schwungentwicklung aus der Beckengliedmaße steht im Verhältnis zur Entwicklung von deren Tragkraft. Somit bedingen sich auch Schwung und Kadenz gegenseitig. Die körperliche Balance und das Ausbalancieren unter dem Reiter stehen in Zusammenhang mit der muskulären Balance.
Balance zwischen Hinter- und Vorhand herzustellen bedeutet nicht nur, das Pferd vermehrt zur Lastaufnahme mit der Beckengliedmaße zu bringen – und das mit dem Gedanken, die Last dadurch von der Vorhand zu nehmen. Es bedeutet vielmehr, die Kraftentfaltung des ganzen Körpers zu fördern, die Bewegung der Vor- und Hinterhand gleichermaßen zu aktivieren.
Schiebt das Pferd kraftvoll aus der Beckengliedmaße nach vorn unter seinen Körperschwerpunkt und geht die Bewegung über den Rücken des Pferdes, so hebt sich der Brustkorb und die Schultergliedmaße bewegt sich losgelassener und raumgreifender. In diesem Bewegungsablauf schiebt das Pferd automatisch seinen Reiter nach vorn und setzt ihn gegen den Vorderzwiesel. (…)

 

 

Michaela Wieland absolvierte zunächst ihre Ausbildung zur Physio- und Manualtherapeutin im Humanbereich, bevor sie sich 2005 am Deutschen Institut für Pferdeosteopathie (DIPO) zur Pferdeosteo- und Physiotherapeutin ausbilden ließ. Seitdem behandelt sie ausschließlich Pferde. 2011 belegte sie die Zusatzqualifikation „DIPO-zertifizierte Sattelexpertin“ und arbeitet mittlerweile selbst als Dozentin am DIPO.
Homepage: http://www.michaelawieland.de/

Den gesamten Artikel lesen Sie in der aktuellen Ausgabe 10!

 

Category: Pferdegesundheit

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