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Sehr geehrter Herr Matthias Alexander Rath

Lieber Matthias Alexander Rath,
Diesen offenen Brief schreibe ich Ihnen, weil ich Sie zu der am Dienstag getroffenen Entscheidung Totilas aus dem Sport zu nehmen beglückwünschen möchte. Das meine ich keinesfalls hämisch, wie man jetzt vielleicht glauben möge. Ich denke, dass Sie und Ihr Team endlich die richtige Entscheidung getroffen haben, weil diese Entscheidung unglaublich viel Druck von Ihren Schultern nimmt und von denen des Ihnen anvertrauten Pferdes, das offensichtlich diesem Druck gesundheitlich nicht mehr gewachsen ist.
Nein, ich kann mir nicht vorstellen, was Sie in den vergangenen fünf Jahren durchgemacht haben. Ich bin mir sicher, dass das kaum einer, der Sie nicht kennt und der nicht hautnah dabei war, kann. Ich stelle mir vor, dass Sie das Gefühl haben mussten, bei all den schadenfrohen und vorverurteilenden Bewertungen im Internet, dass Sie es den Leuten schon zeigen müssten. Vielleicht liege ich da falsch, aber ich denke vielen Menschen wäre es so gegangen.
Viele Leute haben von Anfang an gesagt, Sie könnten bei Übernahme dieses Pferdes nur verlieren. Ich muss Ihnen aber sagen, dass ich mich damals zunächst sehr für Sie und Totilas gefreut habe. Auch Ihre anfänglichen Auftritte mit Totilas haben mir sehr gefallen. Sie ritten noch nach klassischen Grundsätzen und Totilas, so war mein damaliger Eindruck, lief unter Ihnen gelöster und freudiger als je zuvor unter Gal. Ok, man merkte dass Sie beide noch keine Einheit waren, aber ich hatte den Eindruck, dass Sie eine gute gemeinsame Basis hätten. Dann kam der Auftritt, bei dem Totilas nicht mehr das tat, was Sie sich gewünscht haben. Er „funktionierte“ nicht so wie er sollte. Sicherlich eine Folge der Ausbildung, die er zuvor genossen hatte, vielleicht hatte er da schon gesundheitliche Probleme oder Schmerzen- wer kann das mit Sicherheit sagen. Ich bin mir sicher, dass er bestens tierärztlich betreut wurde, jedoch weiß ich auch, dass viele Schmerzen bei Pferden nicht immer direkt erkannt werden. Vielleicht auch schon eine Auswirkung dessen, was die Reitweise von Herrn Gal mit ihm gemacht hatte. Bitte verstehen Sie mich da nicht falsch: Ich möchte hier niemanden verunglimpfen. Gal hat einen hervorragenden Reitersitz und ist sicherlich ein sehr talentierter Reiter, aber schon damals war bekannt, dass er nach der Methode von Sjef Janssen trainierte und dass auch Totilas so geritten wurde.
Sie hatten dann viele Pausen wegen Krankheit und Verletzung. Ich gebe das jetzt so wieder, wie ich es aus den Zeitungen und dem Internet miterlebt habe, gerne können Sie mich korrigieren, wenn ich etwas falsch darstelle. Ich hoffte damals, dass Sie sich die Zeit nehmen würden das Pferd neu aufzubauen und einen anderen Zugang zu Totilas zu finden, statt mit Druck und tiefer Einstellung des Kopfes den Erfolg zu erzwingen. Dafür hätten Sie beide sich wahrscheinlich eine mindestens zweijährige Auszeit nehmen müssen. Das kann ich mir vorstellen, war aber nicht im Sinne derer, die mit Ihnen beiden Erfolge feiern wollten.
Wie gesagt: Ich bin weder Turnierreiter noch kann ich nachfühlen, wie es ist, wenn man so krass wie in Ihrem Fall „abliefern muss“. Dennoch war meine stille Hoffnung damals, dass Sie es anders machen würden. Umso größer war die Enttäuschung, als die Nachricht kam, Sie würden mit Sjef Janssen trainieren, damit Totilas zu seiner alten Form zurück kehrt.
Ich selbst habe eine Stute, mit der ich ziemlich viele Tiefs durchgemacht habe. Ich habe mich für einen anderen Weg entschieden und versucht, auf mein Pferd zu hören, damit es Lust hat mit mir Zeit zu verbringen. Sicherlich können Sie jetzt erwidern, dass das in einem Fall wie dem Ihren nicht unbedingt so einfach gewesen wäre. Schließlich waren schon seit längerem T-Shirts gedruckt und die Nation wartete ungeduldig auf Goldmedaillen. Und es ging ja nicht ums Freizeitvergnügen sondern auch um viel Geld. Aber gerade da liegt meiner Ansicht nach der Denkfehler: Schon Pluvinel hat gesagt, dass nur ein Pferd, das Freude an der Arbeit hat, anmutig sein kann. Auch wenn heute merkwürdige Dinge positiv von Richtern bewertet werden, so bleibt es doch „Dressurreiten“ und damit müsste das oberste Ziel der Weltelite sein, vollkommene Harmonie mit dem Partner Pferd zu zeigen- also Anmut in jeder Bewegung. Denken Sie, dass Totilas nach dieser Entscheidung des Trainerwechsels Freude beim Training mit Ihnen hatte? Denken Sie, dass die Pferde, die so spannig bei Turnieren vorgestellt werden wie wir es jetzt wieder in etlichen Fällen bei der EM sehen mussten, Freude an dem haben, was sie tun? Warum glauben Sie sprechen wir bei Pferden und ihren Reitern von „Partnerschaften“? Wer würde von einer hamonischen Ehe sprechen, wenn ein Partner den anderen dominiert?
Mich beschleicht das Gefühl, dass Sie sich vielleicht zu sehr von anderen Menschen haben reinreden lassen. Oder war es doch der Ehrgeiz, der Sie trieb? Was ich bei der jetzigen EM gesehen habe, hat mich jedenfalls sehr traurig gemacht. Denn ich hatte den Eindruck, dass Sie und Totilas gefühlstechnisch nie so weit voneinander entfernt waren, wie bei dieser letzten Prüfung: Sie redeten nach dem Ritt von einer guten Anlehnung, die Totilas gehabt hätte. Ihre Kandarenschenkel waren jedoch bis zum Anschlag angezogen- durchgehend- von Leichtigkeit oder Nachgiebigkeit der Reiterhand war nichts zu sehen, eine Anlehnung im klassischen Sinne ist so gar nicht möglich. Außerdem scheinen Sie die Lahmheit Ihres Pferdes, die schon bei der ersten Trabverstärkung auf der Diagonale mehr als deutlich zu sehen war, nicht bemerkt zu haben. Sollte ein gefühlvoller Reiter soetwas nicht bemerken?
Ich möchte Ihnen wünschen, dass Totilas wieder gesund wird und dass Sie eventuell noch die Chance nutzen können, sich ohne Turnierdruck mit diesem einmalig schönen Pferd zu beschäftigen. Vielleicht finden Sie ja jetzt, wenn der Trubel vorbei ist, einen anderen Zugang zu ihm und versuchen dieses Pferd schonend nach wirklich klassischen Grundsätzen nach der Krankheit soweit wieder aufzubauen, dass Sie eines Tages, auch wenn es dann die Öffentlichkeit nicht mehr im Turnierrummel oder bei irgendwelchen Shows mitbekommt, wirkliche Freude an diesem Tier haben können. Stellen Sie sich die Schlagzeile vor: „Rath und Toti haben viel Spaß bei der gemeinsamen Freiarbeit“. Dazu ein paar Bilder, auf denen zu erkennen ist, dass Totilas Freude am Zusammensein mit Ihnen hat. Das wär mal was! Da würden die Leute nicht schlecht staunen!
Ich meine damit, dass Sie vielleicht versuchen könnten druckfrei schon am Boden mit Totilas zu arbeiten. Z.B. mit klassischer Handarbeit seinen Rücken und seine Muskulatur stärken. Eine auf Vertrauen basierende persönliche Beziehung zu ihm aufzubauen und ihm dadurch eine stressfreiere und auf seine Gesundheit und sein Wohlbefinden fokussierte lange Rentenzeit zu garantieren. Ja, jetzt werden viele Leute sagen: „Wie naiv ist die denn?“ Genügend Stimmen haben ja schon beschrieben wie trostlos vermutlich das Leben von Totilas als „Samenspender“ im goldenen Käfig sein wird und vielleicht haben Sie auch gar keinen Einfluss mehr auf das, was mit dem schwarzen Hengst passiert, weil Ihre Stiefmutter ja die „Sportrechte“ an ihm hat. Wenn also kein Sport mehr, dann auch kein Kontakt mehr zu Toti? Das können nur Sie beantworten, und ja, vielleicht bin ich da naiv, aber ich glaube, dass Sie auch an dieser Situation etwas ändern könnten, wenn Sie wollten.
Sie haben sicher mitbekommen, dass in den letzten zwei Wochen wieder alle Zeitungen voll waren mit Ihrem Bild und dem von Totilas. Für mich bedeutet das, dass genau SIE die Möglichkeit haben, jetzt ein Zeichen zu setzen. Zu erkennen, was falsch gelaufen ist, dies zu benennen und in Zukunft Dinge besser zu machen. Sie haben mit der Prominenz mit der Sie in der Öffentlichkeit stehen, die Pflicht, ein Vorbild zu sein. Und für ein Vorbild unserer sowie aller anderen Reiternationen sollte die Gesundheit und das Wohlergehen des Pferdes im Vordergrund stehen. Die ethischen Grundsätze im Pferdesport, die für jeden Reiter und Ausbilder gelten, sollten eigentlich schon Anhaltspunkt genug sein für das, was Sie anderen Reitern vorleben sollten. Die Ausbildungsmethoden Ihres Trainers Sjef Janssen verstoßen gegen Punkt 5, Punkt 6 und insbesondere gegen Punkt 7 und Punkt 8 dieser ethischen Grundsätze. Nachhaltiges und für das Pferd konzipiertes Training braucht Zeit. Das weiß man schon seit Xenophon- das ist also nichts Neues. Traurigerweise schrieb schon Francois Robichon de la Guérinière, Reitmeister von Franreichs König Louis XV. in seinem 1733 erschienen Buch „Ecole de Cavalerie“ von Reitern, die ein ähnliches Konzept wie Herr Janssen heute verfolgten. Schon er wußte: „Indessen ist eine von den richtigen Grundsätzen entblößte Praxis eine bloß mechanische Ausübung, deren ganzer Nutzen in einer gezwungenen und ungewissen Ausführung besteht. Es ist ein falscher Glanz, der Halbkenner blendet, die öfters mehr durch die Zierlichkeit des Pferdes als durch die Geschicklichkeit des Reiters überrascht werden“. Auch das also leider nichts Neues.
Für Ihren weiteren Werdegang wünsche ich Ihnen und Ihren kommenden Pferden von ganzem Herzen, dass Sie sich von den Trainingsmethoden von Sjef Janssen wieder trennen können, zurück finden zu einer respektvollen und gesundheitserhaltenden Reitweise und dass wir Sie dann vielleicht unter völlig anderen Bedingungen mit ganz anderen Augen sehen werden. Aus einer solchen Situation, wie der, in der Sie sich gerade befinden, kann man gestärkt heraus gehen, wenn man die Fehler, die man gemacht hat, erkennt. Ich hatte, wie gesagt, am Anfang Ihrer Zeit mit Totilas durchaus den Eindruck, dass Sie ein talentierter und gefühlvoller Reiter sind. Ich möchte Ihnen daher hiermit ganz nonchalant den Rat geben: Besinnen Sie sich wieder darauf und hören Sie auf das, was die Pferde Ihnen versuchen zu sagen.
Auch wenn ich kein Turnierreiter bin und auch wenn Sie bei vielen Dingen vielleicht jetzt den Kopf schütteln, weil ich natürlich nicht weiß, wie es in Ihnen aussieht und was genau in den letzten Jahren bei Ihnen und Totilas passiert ist, habe ich die stille Hoffnung, dass Sie zumindest einen Moment über das, was ich Ihnen hier geschrieben habe, nachdenken werden. Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche und glückliche Zukunft und Ihrem Wunderpferd eine glückliche und pferdegerechte Rente
Mit freundlichen Grüßen,
Agnes Trosse